Schwedens Sicherheit?


Das Sicherheitsbedürfnis der Schweden

Schon einmal in Schweden gewesen?

Wenn ja, haben Sie dort schon einmal Autofahrer gesehen, die bei der Fahrt Ohrenschützer tragen?

Sie wirken nämlich für einen Aussenstehenden genauso kurios wie der Nachbar auf dem fahrbaren Rasenmäher, der bei seiner Tätigkeit einen Signaloverall trägt.

Alles versichert!

Und auch das Mobiltelefon hat natürlich eine eigene Versicherung gegen das Herunterfallen.

Der Schwede hat ein äusserst ausgeprägtes Sicherheitsbedürfnis.

Nehmen wir die altbekannte Automarke Volvo als Beispiel. An was denken Sie, wenn Sie an einen Volvo denken?

Richtig: Ein Volvo gilt als ein sicheres Familienauto.

Der Automobilkonzern Volvo hat Jahrzehnte und viele Millionen in den Aufbau dieses Images investiert und sich in Schweden (freilich auch in vielen anderen Ländern) damit als die sicherste Automarke schlechthin positioniert.

Das Bild der fahrbaren sicheren Familienkutsche trifft den schwedischen Nerv. Seit einigen Jahren versucht sich Volvo ein neues Brand-Image als umweltfreundliches Auto zu geben.

Der Erfolg ist recht dürftig.

Das alte Image der Sicherheit klebt an der Marke wie angebrannte Kartoffeln am Topfboden.

Wie sieht es mit dem schwedischen Haustier aus?

Die meisten Haustiere in Schweden haben eine Krankenversicherung. Viele sogar eine Lebensversicherung.

Der Haken an der Sache:

Die Krankenversicherung gilt nur für Tiere in einer bestimmten Altersgruppe. Bei Hunden z. B. in der Regel zwischen dem ersten und siebten Lebensjahren.

Ist der Hund dann älter, greift der Tierarzt dann gerne zur „
long lasting injection“, weil der oder die Besitzerin die möglicherweise hohen Behandlungskosten des Tieres beim Vetarinär scheuen.

Die richtig „hartgesottenen“ Zeitgenossen bitten stattdessen den Bekannten mit dem Jagdgewehr um einen Gefallen gegen das nun unliebsame und Kostenintensiven Haustier. Das ist jedoch ein anderer Abgrund, den wir uns zu späterem Zeitpunkt widmen werden.

Kommen wir auf den oben erwähnten Rasenmähenden zurück:

Der Signaloverall des Gartenbesitzers auf seinem fahrbaren Rasenmäher mutet besonders bizarr an.

Was ist der Grund für dieses Verhalten?

Ist es die Angst, ein Nachbar könnte mit seinem Rasenmäher mit stark überhöhter Geschwindigkeit um die Ecke geschossen kommen, und den mähenden Gegner übersehen? Oder will der auf dem Rasenmäher Sitzenden so lange seinen Rasen mähen, bis der Schnee alles zugeschneit hat - und wir den Mähenden auch im kalten Weiss auffinden können?

Das Spiel mit der Angst

Ein hohes Sicherheitsbedürfnis korrespondiert mit den Ängsten, die eine Gesellschaft bestimmen.

Je mehr Angst, desto mehr Verlangen nach (scheinbarer) Sicherheit. Deswegen ist der Schwede gegen alles Mögliche und auch einiges eigentlich Unmögliches versichert. Die schwedische Presse tut das Ihre und greift gerne und häufig neue Spielwiesen möglicher Katastrophen auf.

Die Überschriften sind meist sehr reisserisch, wie als Beispiel:

„Mörderzecken aus Russland in Norrbotten angekommen“
Das war kürzlich in einer nordschwedischen Tageszeitung zu lesen. Natürlich sind Zecken und insbesondere Zeckenbisse alles andere als erstrebenswert. Und mit einer Borreliose oder Hirnhautentzündung ist nicht zu spassen.

Aber das tatsächliche Risiko ist – ausweislich des im Artikel interviewten Experten – eng regional begrenzt und hält sich in den statistischen Grenzen, wie sie auch in anderen Ländern üblich sind.

Dennoch wird der am Schluss des Artikels enthaltene Impfaufruf für Haustier und Halter nicht unerhört bei der Bevölkerung verhallen.

Weite Teile der Bevölkerung in Norrbotten und Västerbotten werden besorgt die nächste Klinik aufsuchen, um sich impfen zu lassen. Das Impfspiel ist von den jährlichen Grippeimpfungen gut bekannt. Da wird der jeweils diesjährige Grippevirus mit schöner Regelmässigkeit zu einem besonders gefährlichen Typ erklärt und Schweden lässt sich kollektiv impfen.

Die schweren Nebenwirkungen der verwendeten Impfstoffe sind dabei völlig uninteressant - schon deswegen, weil die Medien über diese geflissentlich schweigen und keinerlei konstruktive informelle Pro- und Contra-Diskussion dulden.

Mit den Ängsten wird in Schweden auf eine bizarr schizophrene Weise umgegangen. Einerseits ist der schwedische Lebensstil lässig und entspannt. Andererseits sitzen die Ängste tief und bestimmen das alltägliche Leben.

Dimensionen der Angst

Eines haben die Ängste in Schweden alle gemeinsam:

Ängste haben alle irgend etwas mit Geld zu tun. Überhaupt spielen Geld und Finanzen eine sehr wichtige Rolle in der schwedischen Gesellschaft. Der Hund wird eingeschläfert, wenn er zu teuer wird. Das Erschiessen des Haustieres im nahe gelegenen Wald spart nämlich die Veterinärkosten.

Auch Statussymbole sind in Schweden von grosser Wichtigkeit, egal ob es dabei um Autos, Mobiltelefone oder Kleidung geht.

An schwedischen Garderoben, z. B. am Arbeitsplatz, fällt mir stets auf, dass die Jacken unterschiedlich aufgehängt werden.

Die Jacken auf deren Ärmel oder Brust die Logos bekannter Marken (z. B. Fjäll Räven oder Haglöfs) prangen, werden so aufgehängt, dass die Logos deutlich für jeden sichtbar sind.

Wer No-Name-Produkte sein eigen nennt hängt diese meist unauffällig auf, so dass die generischen Bezeichnungen verdeckt sind. Ein ähnliches Phänomen gilt auch bei Smartphones. Teure Markengeräte – meist aus dem Hause Apple oder Samsung - werden gerne ohne Hülle so auf den Tisch gelegt, dass das Markenlogo deutlich sichtbar ist. Günstige Alternativgeräte werden gerne so abgelegt, dass sie „unsichtbar“ bleiben.

Kürzlich war der Enkel eines Nachbarn zu Besuch und äusserte sich in Frageform sehr bezeichnend über eines unserer Autos.

Zum Hintergrund muss erwähnt werden, dass der wichtigste Aspekt bei einem Auto unserer Meinung nach die Zuverlässigkeit ist. Alter, Aussehen und Marke spielen dabei keine Rolle. Der Nachbarsenkel blickte lange und intensiv musternd auf den 30 Jahre alten Volvo und fragte dann: „Ist das wirklich euer Auto?“.

Die Wichtigkeit von Statussymbolen wird den Kindern von klein auf mit der Muttermilch vermittelt, zeigt sich das erste Mal im Kindergarten und endet erst im Grab.

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Die Angst hinter der Angst

Aus unserem Alltag

Vor etwa fünf Jahren klingelte an einem Werktag das Mobiltelefon unüblich früh. Am anderen Ende der Leitung eine Schuldirektorin aus dem nahe gelegenen Ort. Sie fragte, ob ich im Laufe des Vormittages Zeit hätte vorbei zu kommen.

Es gebe Probleme mit den Kindern einer deutschen Familie, die vor kurzen nach Schweden umgezogen war. Das klang interessant, und so sass ich zwei Stunden später als Dolmetscher im Dienstzimmer der Direktorin.

Die Familie kam aus einfachen Verhältnissen und war mit mehreren Kindern auf "gut Glück" nach Nordschweden ausgewandert. Schon nach einigen Wochen war ihnen, was angesichts der fehlenden Planung und Vorbereitung leider zu erwarten gewesen war, das Geld ausgegangen.

Die Kinder kamen seit einiger Zeit zudem nach schwedischen Ansichten leicht ungepflegt zur Schule und die zuständige Behörde beabsichtigte, sich der Sache anzunehmen.

Deswegen hatte die Direktorin zu einem Gespräch mit allen Beteiligten eingeladen.

Alle Mitglieder der betroffenen Familie sprachen allerdings kein Schwedisch. Das Gespräch verlief schleppend und die bestimmt wohl gemeinten Ermahnungen der Rektorin fielen Mentalitätsbedingt auf keinen fruchtbaren Boden.

Die Eltern waren beide starke Raucher, was der empfindsamen Nase nicht entgehen konnte und somit trug auch die Kinderkleidung einen Tabakrauch an sich.

Als das Gespräch auf das Rauchen kam und sich die Eltern damit verteidigten, dass das doch ganz üblich sei und sie bei sich zu Hause doch tun und lassen könnten, was sie wollten, versteinerte sich die Miene der Direktorin und sie sagte in spitzem Tonfall einen einzigen Satz, der wie ein Schuss aus einer Nagelpistole kam:

Nein, das machen wir nicht“.

Hier verlief also eine ganz deutliche Grenze in Form einer sozialen Norm. So etwas macht der anständige Schwede nicht. Ein Schwede raucht nicht im eigenen Haus oder in der Wohnung.

Wenn schon geraucht werden muss wird schliesslich vor der eigenen Haustür geraucht!

Je mehr soziale Normen und Verhaltensregeln eine Gesellschaft für das Zusammenleben hat, desto stärker ist die Angst des Versagens, welche diese Gesellschaft prägt.

Was ist die Meta-Angst, die „Überangst“ der Schweden?

Die Angst des Versagens ist der Schlüssel zum Verständnis der schwedischen Mentalität.

Denn ein für andere Mitmenschen erkennbares Versagen bedeutet, sein Gesicht zu verlieren. Und das ist es, was der Schwede ganz tief in seinem Inneren panisch fürchtet.

Das Gesicht zu verlieren würde bedeuten den angestammten Platz in der Gesellschaft zu riskieren.

Ermöglichen es doch die zahlreichen ungeschriebenen Normen jedem Individuum - unabhängig von dessen individuellen Voraussetzungen - einen Platz in der Gesellschaft einzunehmen.

Den Schweden geht es also kulturell genau so wie den Japanern. Dort herrscht nämlich exakt dieselbe beherrschende Grundangst.

Euer

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