Interview Teil 13
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Teil 13
Mir stiess eine richtig dicke Wolke aus Wärme und Essensduft entgegen, als wir in die Kota, ein riesiges Zelt aus Tierleder bespannt, eintraten.
Mitten in der Kota stand auf einer Feuerstelle eine überdimensionale Pfanne, aus der es wunderbar duftete! Mir lief das Wasser im Mund zusammen und mein Magen hüpfte lautstark vor Freude.
Obwohl sich mindestens dreissig Personen im Zelt befanden war genug Platz, dass wir uns nicht drängeln mussten. Die überwiegende Mehrheit der Besucher trug ihre traditionelle samische Tracht. Ich beobachtete, dass fast alle ihre Schuhe auszogen, diese an die Seite stellten, so dass niemand darüber fallen kann und sich an der Zeltwand auf Felle setzten.
Noch stand ich am Zelteingang und Immer wieder stiess eisige Luft meinen Rücken an. Es traten nach und nach noch mehr Menschen in die Kota ein. Das grosse Zelt nahm ein geordnetes Wirrwarr von Erwachsenen, Kindern in sich auf. Der Duft des in der Pfanne vor sich her köchelten Fleisches und der Wärme, die die Feuerstelle eifrig in den Raum verteilte, liess in mir ein fast vertrautes Gefühl aufsteigen.
Meine Ohren stellten sich plötzlich auf starken Empfang ein, denn ich glaubte mir vertraute Wortfetzen zu hören.
Als ich festgestellt hatte, dass die hinter mir gesprochene Sprache sehr vertraut war, drehte ich mich um und sagte laut: "Sind sie Deutsche?" Vor mir standen zwei ältere Frauen, die im Chor ein "ja" ausstiessen. Sie stellten sich als Frau Kümmel und Frau Wienricht bei mir vor. Die Freude schoss durch meinen ganzen Körper und wir fielen uns alle drei in der Fremde einfach in die Arme.
Die ältere der beiden Urlauberinnen meinte wir sollten auch unsere Schuhe ausziehen und uns einen Platz suchen. Wir tauschten kurz aus, woher wir kamen und was wir hier machten. Ich erfuhr, dass die beiden von einem Bekannten eingeladen worden waren um bei diesem Fest mitfeiern zu können. Sie kämen alle zwei Jahre nach Schweden und wären das erste Mal so hoch nach oben in den Norden gefahren, um die Winterzeit hier verbringen zu können. Die beiden schienen mir sehr lustige Abenteuerinnen zu sein.
Mittlerweile waren neben den zahlreichen Einheimischen auch jede Menge Mitteleuropäer hier. Leider sass jede Gruppe für sich alleine auf Felle, die auf dem Boden lagen oder auf Holzbänken. Ein Sprachengewirr aus französisch, polnisch, deutsch und schwedisch hallte laut zwischen den Wandhäuten hin und her.
Das wirre Geplappere in der Kota verstummte und es begann ganz leise eine Trommel ihren Rhythmus zu verbreiten. Ein Mann, der sich in der Mitte des Raumes positionierte, schlug sie zärtlich und stimmte dabei den traditionellen Gesang, den Yoik, an.
Bei dieser Vorführung wurde uns allen reihum von Frauen in ihren Trachten Holzteller und ein Holzlöffel mit dem Fleischgericht gereicht.
Ich konnte auf meinem Teller Fleischstücke, dunkle Sosse, Pilze, die grün waren, und Kartoffelschnitte finden und musste zugeben, dass dieses auf meinem Teller beste Essen war, was ich bisher im Ausland angeboten bekommen hatte und ich bin alleine schon durch meinen Beruf rund um den halben Erdball gereist. Frau Kümmel, die neben mir sass und von ihr wusste ich, dass sie im Gegenteil zu mir nicht das erste Mal in Schweden ist, flüsterte mir ins Ohr, dass das Rentierfleisch auf meinem Teller wäre.
Auf meine Frage hin, wie die grünen Pilze hiessen, wurde ich von ihr darüber aufgeklärt, dass es eine Flechtenart wäre, die den Sami als Gemüse diente.
Es wäre sehr Vitaminreich. Brav dankte ich ihr und hoffte darauf, mich nicht jetzt zu vergiften. Denn wer weiss das schon!?
Mir kam es so vor, als das hier alles eine Touristenattraktion sei und kein Fest, das von Einheimischen für einen bestimmten Zweck veranstaltet wurde.
Als alle fertig mit dem Essen waren, erhoben sich sämtliche männlichen Sami und als ich mit aufstehen wollte, ergriff mich die Hand von Frau Kümmel an meinem rechten Gelenk. Ihre Hand gab mir zuverstehen, dass das Aufstehen nicht mir gelten würde. So sass ich wieder da und wartete, was geschehen würde.
Die Männer verliessen den Raum, bis auf den Trommler. Die für mich ewig schweigende junge Frau trat ein. Die Tochter von Doc Mozart.
Sie hielt das Baby aus der Hütte auf ihren Armen, wickelte es aus seinen bunten Tüchern und übergab es dem Trommler. Mit dem Baby verliess auch er als Letzter die Kota.
Uns gegenüber sassen zwei jüngere Frauen in ihrer landestypischen Tracht. Sie standen auf, und in ihrer Mitte hielten sie eine sehr alte Frau zwischen sich. Anscheinend war die Alte blind, denn sie wurde von den beiden Richtung Ausgang geführt. Nach und nach erhoben sich alle, zogen unsere Schuhe wieder an, liessen die Wärme hinter uns und folgten den drei Frauen.
Der Schnee unter unseren Schuhen sang seinen eigenen Rhythmus, der mit heftigen kalten Knirschen begleitet wurde. Es war ein von vielen Schuhen entstandener Trampelpfad auf dem wir uns bewegten und ich musste aufpassen nicht mit den Füssen auf den Unebenheiten umzuknicken.
Denn das hätte mir jetzt noch gefehlt! Ein gebrochenes Fussgelenk hätte ich wirklich nicht gebrauchen können. Wir erreichten nach wenigen Minuten endlich unser Ziel.
Es bot sich ein unvergessliches Bild der winterlichen Natur und in mir machte sich Ärger breit, weil ich schon in der Kota festgestellt hatte, dass meine Kamera in der Gästehütte lag. Rechts von uns erhob sich mayestätisch ein Wasserfall, dessen plätscherndes Nass
von einem Rahmen aus dicken Eisplatten und Eiszapfen in seine richtigen Pfade gehalten wurde. Linker Hand standen ein Paar Nadelbäume, die eine natürliche Grenze zum Abgrund zogen.
Dahinter, so konnte ich von meinem Platz an dem ich stand, sehen, war der Abgrund felsig und sehr tief. Frau Kümmel, die neben mir an der Seite stand, erklärte mir Fachfrauisch, dass sie hier die Toten den Felsen hinunter werfen würden. In meinen Augen stand das blanke Entsetzen! Sie zog mich am Ärmel Richtung der Nadelbäume. Nach wenigen Schritten standen wir tatsächlich an einem Abgrund.
So hatte ich die Gelegenheit die wirkliche Tiefe festzustellen. Ja, es war meines Erachtens sehr tief. Zu tief sagte mir mein Inneres und ich tastete mich vorsichtig mit meinen Beinen wieder ein Stück weg vom Abgrund. Wer dort hinunter fällt, hat keine Chance meinte Frau Kümmel breit grinsend.
Was ging hier vor sich?
Warum versammelten sich ausgerechnet hier an dieser Stelle alle?
Die Sonne hatte schon seit geraumer Zeit ihre Helligkeit mitgenommen, doch war der Platz es noch nicht völlig in Dunkelheit getaucht.
Der Trommler aus der Kota hob unter einem tiefen männlichen Summen das nackte Kind in die Höhe und stiess einige Laute von sich. Es hörte sich wie Urschreie an, so zumindest denkt sich das der Mitteleuropäer beim Erleben dieser skurrilen Szene. Das Baby schien sich an alle dem nicht zu stören, denn es machte keinen Mucks von sich.
Es schrie nicht! Schlief es? War es tot?
Wird es von ihm in die Tiefe geworfen?
Ist das hier eine Beerdigungszeremonie?
Der Sami übergab das Baby einem anderen Mann in die Hände, danach übergab dieser es weiter an einen anderen in der Reihe. Dieses Prozedere ging Reihum, von Männerhand zu Männerhand, bis zu einem, der sehr dicht an dem Wasserfall stand.
Seine zu einem Nackenknoten gebändigte Haare schimmerten rötlich, er trug einen langen Bart, der mit Hilfe eines silbernen Ringes zu einem Zopf zusammen gehalten wurde. In seinen riesigen Händen hielt er das Kind, neigte seinen Oberkörper zum herunter stürzenden Wasser. Es schien, als ob er eine Art Gebet sprechen würde.
Der wird doch wohl nicht...? Schoss es mir durch den Kopf und bevor ich den Gedanken zu Ende denken konnte, hielt er den nackten winzigen Körper unter das eiskalte Wasser.
Erst da begann der Säugling erbärmlich an zu schreien, so als ob um sein eigenes Leben kämpfte.
Ein Gröhlen durchbrach die Luft und die Frauen stimmten lauthals ein monotones Sing-Sang an. Drei junge Frauen liefen schnellen Schrittes über die Schneedecke, zu dem Mann mit dem Baby in der Hand und wickelten es in bunte Tücher ein.
Eine der Frauen drückte das schreiende Bündel eng an sich und rannte fast den kleinen Pfad, den wir hierher gegangen sind, Richtung Kota zurück.
Nur diese junge Frau war nicht Doc Mozart's Tochter!
Das Ganze war für mich überaus verwirrend und es überkam mich Erleichterung, als ich bemerkte, dass viele von den Besuchern im Nichts verschwanden. Meine Sehnsucht nach alleine sein zu wollen, war gross.
Es kehrte ein klein wenig Ruhe und Überschaubarkeit auf diesem unheimlichen Platz ein.
Eine kleine Gruppe fand sich mit mir wieder im Zelt und nun war plötzlich wieder der Doc präsent.
Ihn konnte ich all die Stunden, in der die Zeremonie statt gefunden hatte, nicht mit meinen Augen finden.
Wo war er?
Die junge Frau, die mit dem Baby an ihrem Körper so schnell den Platz verliess, sass schräg von mir an der Zeltwand gelehnt.
Sie hatte langes, blondes Haar, ihr Blick schaute starr in das noch klein brennende Feuer in der Mitte und an ihrer Brust stillte sie das Kind. Also gehörte das Kind nicht der Tochter von Doc Mozart und er ist kein Grossvater, dachte ich in mich hinein und bedauerte es fast. Ein leichtes Grinsen konnten sich meine Gesichtsmuskeln bei diesem Gedanken dann doch nicht verkneifen.
Die Flammen des Feuers tanzten umher und warfen klägliche Schatten an die Wandhäute.
Das Kind hat die Zeremonie überlebt, das Feuer in der Mitte des Zeltes wird in wenigen Minuten sterben. Meine Augen verfolgten den bleichen aufsteigenden Rauch, der sich im mittler weilen im dunklem Nachmittagshimmel vereinte. In der Winterzeit ist es im Norden Skandinaviens nur wenige Stunden hell.
Die beiden aus Deutschland kommenden älteren Damen verabschiedeten sich kurz durch die Zeltöffnung und auch mein Körper rief nach Schlaf.
Motorengeräusche der Schneemobile, und Glockengebimmel von Rentiergespannen, die ihre mit Passagieren voll gepackten Schlitten zogen, entfernten sich immer mehr.
Begleiteten sie jedoch als Hintergeräusch meinen kurzen Weg in die Styga.
Eine Petroleumlampe, die in der Mitte des kleinen Raumes an der Decke hing, schien mir ihr fahles Licht zur abendlichen Begrüssung zu schicken. Irgendwer hat sie schon angezündet. Was ich als sehr aufmerksam empfunden hatte.
Mit bleiernen Armen zog ich mich für die Nacht um und meine Knochen fielen schwer wie Blei ins Bett. An der von mir gegenüber liegenden Wand hing ein altes Gemälde, das an einem grellgelben Karton aufgeklebt war.
Wer konnte nur so gut malen? Jedes Detail war zusehen.
Eine wirklich wunderbare Arbeit. Es schaute mir also in der Nacht beim Schlafen ein alter samischer mir unbekannter Mann zu.
Das Letztere sollte sich jedoch bald ändern!
Am nächsten Morgen fühlte ich mich wie gerädert und zu allem Elend schneite es kräftig. Dazu bliess ein starker Wind. Das kalte Weiss flog fast waagerecht an meinem Fenster vorbei. Zu meinem Erstaunen war das kleine Domizil richtig durchgewärmt und ich fror nicht.
Das hätte ich mir nun nicht vorstellen können.
Knarzend und mit einem kräftigen Rumms wurde die Tür aufgestossen. Eiskalter Wind fegte plötzlich kräftig durch den Raum und verteilte sein Mitbringsel, den Schnee, von draussen mit in das kleine Zimmer hinein.
So lüften die Norrländer hier also ihre Häuser! Fast schrie ich diesen Satz, doch schnell wurde von mir die Bettdecke bis ans Kinn gezogen, so als ob ich dem Kältetod soeben direkt ins Auge geblickt hätte.
Fortsetzung folgt.