Lugn och Ro
Einblick in das schwedische Schulsystem I.
Lugn och Ro
(ausgesprochen, deutsch: Lunn_g ock Ruuh)
Was von fast allen neu in Schweden angekommenen NeubürgerInnen - zumindest in Nordschweden - wahr genommen wird, sind die Ruhe und Gemächlichkeit, mit der sich das gesamte Leben hier abspielt.
Hier wird lugn och ro gross geschrieben!
- Das Leben fliesst dahin -
Einerlei, ob in der Schule, bei der Arbeit, in Behörden oder ganz allgemein in Gesellschaft und der Gemeinschaft.
Die Uhren ticken in Schweden anders.
Es geht alles sehr gemächlich zu.
Ein Beispiel:
Neu zugezogene Kinder sind fasziniert vom schwedischen Schulwesen. Sie berichten, dass es in der gesamten Schule “ruhig” zugeht. Im Heimatland wäre der ganze Schulalltag von Hektik und Stress geprägt gewesen.
Das Hin- und Hergerenne von Klassenzimmer zu Klassenzimmer in der alten Heimat, nur um die unterschiedlichen Unterrichtseinheiten wahrnehmen zu können und in den viel zu kurzen Pausen hätte oft dazu geführt, dass die Zeit nicht einmal für ein Pausenbrot gereicht habe.
Gestresste Lehrer haben ihre eigene innerliche Unruhe auf die Kinder übertragen, das Gebrülle in den Schulräumen wäre unerträglich gewesen, die Aggressionen unter der Schülerschaft ein Graus usw.
So die Schilderungen der doch recht zahlreichen ehemaligen Schülerschaft aus anderen Ländern.
Diese unerfreulichen und für das Lernen kontraproduktiven Erfahrungen gibt es nicht in einer schwedischen Schule.
Eine entspannte Atmosphäre mit kleinen Klassen und - bei Bedarf - mehreren Lehrern bildet den Rahmen für ein Lernparadies.
Besondere Kinder, soweit es aufgrund ihrer Behinderung möglich ist, sind komplett in den Regelklassen integriert und ihnen steht die komplette Schulzeit ein(e) separate(r) Assistenzpädagog(e/in) zur Seite.
Nach seinem eigenen Tempo kann das besondere Kind nun am Unterricht teilnehmen.
Ergonomisch eingerichtete und moderne Klassenzimmer schaffen einladende Lernräume. Die unbeschränkte Lehrmittelfreiheit - einschliesslich der kostenfreien Fahrten zur und von der Schule ermöglichen - noch - eine viel grössere Bildungsgleichheit als in Deutschland (die sich auch statistisch belegen lässt).
Die Kinder erhalten von der Schule Bücher, einen Laptop, durch das Ganztagesschulsystem eine mittägliche warme Verpflegung und die Benotungen sind in Schweden eine völlig andere, als in Deutschland.
Kein Kind erhält bis zur 4.Klasse eine Note, nein, sie erhalten am Schuljahresende kleine Berichte, in denen jeweils das gelobt wird, was sie "gut" gemacht haben im Unterricht.
Denn Kritik dürfen Erwachsene an einem Kind nicht üben! Weder im Öffentlichen, noch im privaten Raum.
Freilich sind Änderungen des Status Quo im schwedischen Schulwesen seit Jahren bereits deutlich im Gange.
Das momentan in Europa herrschende Wirtschafts- und Gesellschaftssystem hinterlässt auch in Schweden seine Spuren.
Nur der zeitliche Versatz und die Änderungsschwerpunkte sind von Land zu Land innerhalb Europas unterschiedlich.
Und in Schweden dauert es bis alles angekommen ist.
Wenn Sie also schulpflichtige Kinder haben, kann allein bereits der Umstand einer tollen Schulzeit für Ihr Kind ein gewichtiges Argument für eine Auswanderung nach Schweden sein.
Allerdings ist auch im schwedischen Schulwesen nicht alles Gold, was glänzt.
Der zunehmend höher werdende Anteil an Zuwandererkindern hinterlässt auch im schwedischen Schulwesen sichtbare Spuren.
Laut der Untersuchung des schwedischen Schulwesens (Skolgranskning, veröffentlicht in Dagens Nyheter am 26.03.2013) zeichnet sich seit 2001 ein signifikanter Leistungsabfall bei Schülern ab, die nach dem Alter, ab dem die Schulpflicht beginnt, mit ihren Elter ins Land umgezogen sind.
Diese Tatsache beeinflusst die Statistik gewaltig und die durchschnittlichen Leistungen im schwedischen Schulwesen sind seit 15 Jahren im Sinkflug.
Die Statistik belegt z. B. auch, dass im Jahre 2000 insgesamt 91,1% der in Schweden geborenen Kinder einen Grundschulabschluss mit der Möglichkeit das weiterführende Gymnasium (das schwedische Gymnasium ist vergleichbar mit der in Deutschland drei jährigen Berufsvorbeiretende Schulzeit) zu besuchen erworben haben.
Bei Kindern mit Migrationshintergrund lag der Prozentsatz bei 63,8 Prozent.
Im Jahre 2011 hatten sich die Zahlen dramatisch verschlechtert:
90,2% der in Schweden geborenen Kinder hatten das Bildungsziel erreicht, aber nur noch 44 Prozent der ausserhalb Schwedens Geborenen.
Eine satte Verschlechterung von 19,8 Prozent in nur einem Jahrzehnt. Allen aktuellen Studien nach, wird der Trend sich fortsetzen.
Obwohl das schwedische Schulwesen Kinder aus anderen Ländern mit offenen Armen begrüssen.
Kurzer Einblick in die Praxis:
Im ersten Halbjahr des Schulbesuches erhält ein neues Kind reinen Schwedischunterricht. Hierzu steht eine separate Lehrerschaft den Kindern zur Verfügung.
Der Unterricht wird für das Kind nach und nach auf andere Fächer ausgeweitet. Es wird Mathematik, Erdkunde, Sozialkunde usw. in den Unterrichtsplan langsam aber stetig hinzugefügt.
Sport, Kunst und Handwerken wird sofort neben dem Einführungskurs in die schwedische Sprache gelehrt.
Hierzu trifft die neue Schülerschaft ihre späteren Klassenkameraden und es können neben den regulären Pausen auch schon im Unterricht Kontakte geknüpft werden.
Je nach Voranschreiten des Lernprozesses eines Kindes in der schwedischen Sprache wird es nach einem halben Jahr oder erst später seinem Klassenverband gänzlich zugeführt.
Parallel wird dem Kind noch Stützunterricht in schwedischer Sprache angeboten und meist von den Neuen angenommen. Da ein gewaltiges Sprachdefizit von mindestens ~ 10.000+ Wörtern einem ungefähr 12 Jährigen Kindes in der neuen Sprache fehlt sollte dieses Defizit aufgeholt werden, damit das entsprechende Kind voll und ganz dem Regelunterricht beiwohnen kann.
Die Anzahl von ~ 10.000+ Wörtern lernt ein Mensch von Beginn seiner Sprachfähigkeit in frühester Kindheit bis zu seinem 7./8. Lebensjahr.
Auch via Distanzunterricht können Kinder im Inland, da es meist zuwenig Lehrer vor Ort gibt, begleitenden Unterricht in der schwedischen Sprache erhalten. Meist spricht die Lehrerschaft die Ursprungssprache des Kindes.
Das alles und noch viel mehr sind tiefgreifende unterstützende Massnahmen für ein nach Schweden neu zugezogenes Schülerkind.
Mit all diesen Massnahmen darf festgestellt werden, dass der Vergleich mit dem deutschen Schulwesen (noch) eindeutig zugunsten Schwedens ausgeht.
Die Forschung belegt übrigens, dass die Fähigkeit zum Sprachenlernen mit dem Alter eines Menschen deutlich abnimmt.
Irgendwo zwischen dem sechsten Lebensjahr und dem Beginn der Pubertät liegt die Grenze, ab der eine weitere Sprache noch als Muttersprache, d.h. mit perfekter Lautaussprache und akzentfrei erlernt werden kann.
Die Grammatik kann auch das ältere Gehirn noch gut bewältigen.
Natürlich sollte hier nicht vergessen werden, dass es Menschen gibt, die so gar kein Talent für Sprachen haben, jedoch andere positive Eigenschaften leben und somit ihre Umgebung bereichern können.
Wird eine neue Sprache erst im späteren Alter erlernt, wird man den aus dem Ursprungsland erworbene Akzent und die Sprachmelodie der Muttersprache immer bei der Kommunikation in der neuen Heimat heraus hören.
Sollten Sie also Kinder haben und über einen Umzug nachdenken, dann machen Sie es den Kindern zu Liebe frühzeitig.
Ein Blick in einen Klassenraum,
in dem ein besonderes Kind in der Regelklasse integriert ist:
Ein besonderes Kind ist sehr Geräuschempfindlich.
Kurzerhand wurden von der Schulleitung Tennisbälle gekauft,
mit Löchern versehen und über die Stuhl- und Tischbeine
des Klassenzimmers gestülpt.
Somit hat sich der Geräuschpegel vermindert und dem Kind
wurde auf einfache und praktische Weise schnell geholfen.
Euer