Das Jantelagen
Das Jantelagen
Manchmal sind es die kleinen Dinge, ein einziges Bild oder eine einzige Begegnung, die der Schlüssel zum Verständnis komplexer Geschehen und Handlungsabläufe sind. In den vergangenen Jahren ist uns das oft so ergangen und viele dieser Begebenheiten werden im Laufe dieses Buches geschildert. Namen und Orte sind stets verändert, so dass ein Rückschluss auf die jeweiligen Beteiligten nicht möglich ist.
Zuerst etwas Theorie in Form des soziologisch-psychologischen Hintergrundes.
In den skandinavischen Ländern gibt es ein kulturelles und soziologisches Kuriosum, das weitreichende Auswirkungen auf fast alle Bereiche der Gesellschaft hat.
Das Phänomen hört auf den Namen „Jantelagen“ -
„Das Gesetz von Jante“.
Es geht zurück auf einen Roman des dänischen Autors Aksel Sandemose. In „Ein Flüchtling kreuzt seine Spur“ beschreibt der Autor Sandemose das kleingeistige Milieu einer fiktiven dänischen Kleinstadt namens „Jante“. Die ungeschriebenen Gesetze von Jante setzen alle Einwohner einem unglaublichen Druck zur Gleichmacherei und Anpassung aus.
In den skandinavischen Ländern wird dieses soziologische Horrorszenario erstaunlicherweise ambivalent betrachtet. Es sei positiv, dass die Begrenzung des Individualismus zu Ordnung und Struktur führten. Andererseits beinhalten die sozialen Normen eine Eingrenzung und Unterdrückung der individuellen Entfaltungsmöglichkeiten.
Kurz: Das „Jantelagen“ ist die kodifizierte, typische „Selbstzügelung“, die auswärtige Besucher in Skandinavien sofort wahrnehmen (wenn diese denn nicht völlig abgestumpft sind).
Die Gesichter des Lebens
Das weltliche Gesetz von Jante besteht - wohl in Anlehnung an die biblischen Weisungen - aus folgenden 10 Geboten:
1. Du sollst nicht glauben, dass du etwas Besonderes bist.
2. Du sollst nicht glauben, dass du uns ebenbürtig bist.
3. Du sollst nicht glauben, dass du klüger bist als wir.
4. Du sollst dir nicht einbilden, dass du besser bist als wir.
5. Du sollst nicht glauben, dass du mehr weißt als wir.
6. Du sollst nicht glauben, dass du mehr wert bist als wir.
7. Du sollst nicht glauben, dass du zu etwas taugst.
8. Du sollst nicht über uns lachen.
9. Du sollst nicht glauben, dass sich irgendjemand um dich kümmert.
10. Du sollst nicht glauben, dass du uns etwas beibringen kannst.
Auch in Schweden ist das in allen Bereichen des Lebens mehr als überdeutlich.
Alle sind an der Oberfläche und nach aussen hin äusserst nett zueinander, auch wenn sie sich eigentlich lieber gegenseitig an die Gurgel gehen würden. Alle wirken nach aussen hin selbstlos und bescheiden.
Auf das Jantelagen angesprochen reagieren die meisten Schweden verlegen um dann inbrünstig zu betonen, dass das Jantelagen für sie selbst keine Rolle spielen würde. Ein sicheres Indiz dafür, dass das Gegenteil der Fall ist.
In Schweden stehen nach wie vor der „Erfolg der Gemeinschaft und des Kollektivs“ nach aussen hin im Vordergrund (weswegen in Schweden auch über Jahrzehnte sozialdemokratische [besser: sozialistische] Regierungen regiert haben).
Das Jantelagen ist auch Grund für die mitunter verzweifelte Suche nach einem Konsens mit dem alle leben können (welcher dann aber inhaltlich in der Regel nichts mehr wert ist). Echte inhaltliche Werte, die als Beispiel Entscheidungsprozessen Richtung geben würden und könnten, sind sehr selten. Und wer Werte hat, traut sich nicht, diese zu äussern oder offen zu zeigen (sic).
Hinzu kommt:
Zwanghafter Konsens verhindert echten Fortschritt; er zementiert vielmehr den Staus-Quo.
Im Innern sind die Menschen in Schweden und den anderen skandinavischen Ländern aber genau so wie alle anderen menschlichen Lebewesen:
Egoistisch und auf den eigenen Vorteil bedacht.
Durch die Zangslage, in der sich die Schweden durch das Jantelage befinden, werden individueller Egoismus und Vorteilsbedachte leider sehr extrem im Alltag von ihnen ausgelebt.
Wie in vielen historisch sozialistisch geprägten Gesellschaften herrscht ein subtiles System des gegenseiten Be- und Ausnutzens. Mit der von Urlaubern und Einwanderern gerne wahrgenommenen Freundlichkeit hat das rein gar nichts zu tun. Sobald Du als Individuum im individualistisch utilitaristischen Sinne nicht mehr als nützlich angesehen wirst, verschwindest Du bei sofort vom Bildschirm.
Aber im „kuscheligen gesellschaftlichen Miteinander“ darf das eben nicht gezeigt werden. Aus psychologischer Sicht sind die langfristigen Folgen klar:
Resignation, ja Depression, Verlust des Selbstwertgefühls und im schlimmsten Fall zur ernsten Autoaggressionen machen sich im einzelnen Menschen breit und nehmen Raum ein. Es ist kein Wunder, dass Alkoholismus und andere Abhängigkeitsprobleme in den skandinavischen Ländern weite Verbreitung haben.
Soweit der soziologisch-psychologische Befund.
Euer