Das Hühnchen
10/Feb/2016 11:14 Gespeichert in:Doc Mozart
Sjukvård under insats
Dokumentation über die Arbeit der schwedischen Militärärzteschaft
Försvarsmakten - Baghlan, Afghanistan, Somalia u.a.
Das Hühnchen
Pierre hatte Dienstfrei. Vier Tage lang.
So waren die Vereinbarungen.
5 Tage in der Luft, vier Tage frei, drei Tage im ∞ Lazarett.
Heisst:
im Operationssaal stehen. Flicken, was es zu flicken gibt.
Wenn überhaupt noch zu flicken war. Oder mit "seinem" Helikopter raus fliegen und einsammeln, was einzusammeln ist.
Ohne diese Regelung würde sich seine Konzentration in den freien Fall begeben. Er war dankbar, dass sein Land Menschen wie ihm es ermöglichte, berufstätig zu sein.
Hinzu hatte er neben sich einen Assistenten.
Er nannte ihn den Blinden, weil er zwar vorhanden war, aber für Pierre regelrecht unsichtbar. Wie ein Schatten folgte der Assistent ihm und war nur für ihn abkommandiert. Das ist seit dem ersten Tag an, als Pierre in die Armee eintrat und die beiden hatten schon viele Schwierigkeiten gemeistert.
In seinem Heimatland eine völlige Normalität -
die Assistenz für Menschen, die besondere Unterstützung brauchen.
Wie schon oft, nutzte Pierre seine freien Tage, um wieder mit der Zivilbevölkerung in Kontakt treten zu können. Mittlerweile hatte er sich mehrere kaputte ∞ Tuk-Tuks in der kleinen Stadt zusammen gekauft und schraubte in seiner knappen Freizeit im Schutze seines Truppenquartiers an ihnen herum.
Ein Kamerad aus der Mechanik half ihm dabei.
Ein fertig gestelltes Tuk-Tuk konnte er einem Einheimischen verschenken, das andere wurde von ihm aus mehreren defekten wieder zu einem heilen Tuk-Tuk zusammen geflickt.
So tuckerte er mit dem fertiggestellten und frisch polierten Tuk-Tuk diesen Morgen aus der Stadt heraus.
Heute sollte sein Ziel ein kleines Dorf sein, dass er in drei Stunden erreichen würde. Said hatte ihn auf dieses kleine Dorf aufmerksam gemacht. Dort war vor einigen Wochen ein Anschlag verübt worden und Said hörte, dass es Dorfbewohner gab, die immer noch verletzt wären. Zumindest nicht richtig versorgt wurden oder sich nicht richtig versorgen konnten.
Der Wüstenfunk funktionierte hier erstaunlich gut!
Auf der Ladefläche hatte Pierre seinen berühmten Rucksack und zwei kleinere Säcke Kartoffeln.
Der erste direkte Kontakt zu den Einheimischen des Dorfes war an einem Sonntagmorgen. Irgendwann im Hochsommer. Die Sonne stand wie jeden Mittag hoch oben am Himmel und knallte unerbittlich. Der Motor des Tuk-Tuks knatterte lautstark vor sich her. Da Pierre diese Gegend nicht kannte band er sicherheitshalber eine Fahne mit einem roten Kreuz an das Fenster seines Knattermannes.
Mittlerweile kroch die Sonne Richtung Horizont, doch durch
die gleisende Sonne tanzte die erhitzte Luft immer noch umher und die Silhouetten der kärglichen Lehmbauten wurden sichtbar.
Noch wenige Meter und er würde das Dorf erreichen.
Schon von Weitem sah der so gar nicht in die Gegend passende Fahrer des Tuk-Tuk-Gefährtes einen Jungen auf der Strasse einem Huhn hinterher rennen, dass aus unerfindlichen Gründen die Flucht ergriffen hatte.
Wahrscheinlich ahnte es sein Schicksal.
Pierre wurde plötzlich von einem Moped überholt und dessen Vorderrad erwischte das flüchtende Huhn. Das Huhn überschlug sich mehrmals, die Federn flogen wie Schneeflocken umher -
doch es rannte dennoch weiter.
Pierre stoppte seinen Knattermann und fing das Huhn ein.
Er sah, dass es verletzt war.
Der Junge stand still neben ihn und beobachtete sehr genau, was Pierre nun tat. Dieser kniete auf der staubigen Strasse, wenn sie so genannt werden kann, nieder und klemmte die Unglückliche zwischen seine beiden Oberschenkel.
Mit zwei Holzstäbchen aus seinem Rucksack, die jeder Arzt einem Patienten in den Mund hielt um die Zunge herunter drücken zu können, damit der Rachen sichtbar wird, schiente er das dünne Beinchen vom Huhn. Klemmte sich die Versorgte unter den Arm und begleitete den Jungen in das nur wenige Schritte entfernte Dorf zu seinem Elternhaus.
Die Sonne versenkte sich immer mehr ans Ende der Welt.
Vier Männer sahen ihn misstrauisch an. Sie standen auf dem kleinen Dorfplatz und als er dem Jungen gut sichtbar vor ihren Augen das Huhn überreichte.
Der Kleine lief zu der Männergruppe hin und erzählte, was geschehen war. Der Soldat drehte sich nun wortlos um und wollte wieder zurück zu seinem Gefährt gehen.
Plötzlich hinter ihm eine Detonation!
Fortsetzung folgt.
Zum Inhaltsverzeichnis ∞ alles auf einen Blick -
- Wenn der Abendhimmel errötet ist der Frieden unauffindbar -